Eröffnung EX-MEKH [Ellen Rodenberg, Kees Koomen und Maarten Schepers], A-Trans, Rede von Matthias Reichelt, 12.9.2015
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NACHT
Kies und Geröll. Und ein Scherbenton, dünn,
als Zuspruch der Stunde.
Augentausch, endlich, zur Unzeit:
bildbeständig,
verholzt
die Netzhaut –:
das Ewigkeitszeichen.
Denkbar:
droben, im Weltgestänge,
sterngleich,
das Rot zweier Münder.
Hörbar (vor Morgen?): ein Stein,
der den andern zum Ziel nahm.
PAUL CELAN
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EX-MÊKH ist der Name für ein niederländisches Künstlerkollektiv, das aus
Ellen Rodenberg, Kees Koomen und Maarten Schepers besteht. Seit 2006
existiert das Kollektiv unter dem aus den Anfangsbuchstaben der
Vornamen gebildeten Akronym. Wer, wie ich es versucht habe, dem
Akronym auf die Spur kommen will, steht vor einem Rätsel und bleibt an
dem geheimnisvollen „H“ hängen. Die Lösung ist einfach: Zu Beginn der
künstlerischen Kollaborationen war Hans Ensink op Kemna mit von der
Partie und das Kollektiv ein Quartett. Geschichte sollte bewahrt werden,
weshalb seine Namensspur nicht gelöscht, sondern dem Akronym das
Präfix EX vorangesetzt wurde.
Das Jahresthema von A-Trans ist der Begriff der Reziprozität, ein Terminus
der Soziologie, der das Prinzip der Gegenseitigkeit bezeichnet, das sich
durch die menschliche Gesellschaft ziehen sollte. Trotz derzeitig großer
und demonstrativer Hilfsbereitschaft für die Kriegs- und Armuts-Flüchtlinge
bin ich hier vorsichtig und habe den Konjunktiv gewählt.
In der englischen Version des Begriffs Reprocity ist die Stadt – City
elementar in den letzten beiden Silben eingeschrieben.
Das Künstlertrio EX-MÊKH ist ein Beispiel für das Prinzip der Reziprozität
oder besser der Gegenseitigkeit. Die drei Künstler pflegen ihre ganz
individuelle Arbeit und haben seit 2006 eine Zusammenarbeit begonnen,
die inklusive dieser in 18 gemeinsame Ausstellungen mündete.
Ausstellungsthema und Titel werden gemeinsam entwickelt, aber die
individuelle Freiheit des Einzelnen dabei nicht beschnitten. Oft sucht das
Kollektiv zusätzlich den Austausch mit anderen Künstlern. 2012 haben sie,
in Anlehnung an die surrealistische Praxis des cadavre exquis-Verfahrens
folgend, jeweils Künstler dazu geladen, die dann ihre Arbeiten positioniert
haben, ohne dass bekannt war, was zu erwarten ist. In den gemeinsamen
Ausstellungen ist jeder für seine Arbeit selber verantwortlich, begibt sich
aber in einen gemeinsamen Kontext.
In diesen beiden Räumen kann man dies deutlich sehen, denn zwischen
den einzelnen Werken bilden sich Sichtachsen, die das vom Betrachter
erfasste Bild sofort zu einem Eindruck der kollektiven Komposition macht.
Ellen Rodenberg und Kees Koomen haben beide Malerei studiert, die sie in
traditioneller Weise, mit Pinsel auf ein Trägermaterial, auch heute noch
ausüben. Beide haben aber die Malerei dreidimensional in den Raum hin
erweitert und kommen damit medial in die Nähe von Martin Schepers, der
Bildhauerei studierte und diese mit unterschiedlichen Materialien betreibt.
Schepers baut unter anderem Skulpturen, die, wie anhand der im vorderen
Raum sichtbaren Werke, deutliche Assoziationen zu Mobiliar und
Behausung evozieren.
Zuerst einmal vor dem Galerieschaufenster, die Andeutung eines Hauses
oder eines Raumes in Größe einer Vitrine mit Glas, Nut und Feder, gekrönt
von einer Sansevieria trifasciata, auch als Schwiegermutterzunge bekannt.
Die Pflanze war ein Hit in den 1950er- und 1960er-Jahren und gilt als
perfekte Reminiszenz einer bürgerlich bis spießbürgerlichen Behaglichkeit.
Dagegen erinnert die aus einem Ikea-Karton geformte Behausung auf einer
Palette an die selbstgebauten Unterkünfte der nichtsesshaften oder
obdachlosen Menschen, mit denen wir aufgrund der Abkopplung und
Ausrangierung einer sog. Unterschicht immer stärker konfrontiert werden.
Passenderweise trägt das IKEA-Möbelstück den schwedischen Namen
„Friheten“ was in der deutschen Sprache Freiheit bedeutet. Zynisch könnte
man ergänzen: Freiheit von Einkommen, Wohnung und sozialem Netz
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Interessanterweise hat Schepers die Kartonskulptur innen mit einer kleinen
Perserbrücke und einer seiner Trophäen, aus Acryl geformte und
anschließend bemalte Wandskulpturen, ausgestattet. Beide
architektonischen Skulpturen können unabhängig voneinander gesehen
oder als dichotomische Spannung begriffen werden. Dieses In-Bezugsetzen,
Blickachsen sehen und entsprechend zu begreifen, aber auch
wieder zu entkoppeln, um die Arbeiten als individuelle Setzung
wahrzunehmen, könnte als künstlerisches Programm des Kollektivs
gesehen werden.
Eine Achse zieht sich von einem Zeitungsfoto, das Helmut Kohl und
François Mitterand Hand in Hand in Verdun mit einer Versöhnungsgeste
am 22.9.1984, 70 Jahre nach Ersten Weltkrieg zeigt. Koomen hat die Geste
diese Fotos so berührt wie ihn auf der anderen Seite jemand wie Wladimir
Putin abstößt. Der russische Präsident, bestimmt kein „lupenreiner
Demokrat“ wie ihn Gerhard Schröder bezeichnete, wird hegemonial und
massenmedial als das Böse schlechthin verurteilt. Dieser Dämonisierung
kann ich mich aus Gründen der Verhältnismäßigkeit hier allerdings nicht
anschließen.
Ellen Rodenberg hat, wie bereits erwähnt, ihre Malerei in die dritte
Dimension erweitert. Das Spiel mit Farbfeldern führt sie mit Plastikfolie im
Innen- wie auch im Außenraum fort. Dabei bestückt sie große Flächen mit
Rechtecken verschiedenfarbiger Folien. Assoziationen zu Flaggen
entstehen, führen aber in Leer, denn die von Rodenberg gewählten
Kombinationen existieren nicht. Das assoziative Andocken an den Kontext
von Nationalstaatlichkeit irritiert den Betrachter, öffnet aber schließlich
seinen Blick für eine andere Variante von Farbfeldmalerei, die gleichzeitig
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die Wahrnehmung des Raumes, ob innen oder außen verändern. Das
Komponieren der Farben führt sie im skulpturalen Medium weiter und
drapiert Plastikplanen auf Arrangements aus Tischplatten und
Untergestellen. Es sind alles industriell gefertigte Produkte, die hier zum
Einsatz kommen. Die große Installation im hinteren Raum wurde von ihr mit
einer Abdeckfolie überzogen. Sie ermöglicht einen semitransparenten
Durchblick und lässt die einzelnen Elemente der Komposition schemenhaft
erahnen. Die Hülle gibt der Konstellation eine geschlossene Oberfläche und
eigene Ansicht, die als kompakte skulpturale Form gesehen werden kann.
Am Fuße sind kreisförmig herum sind Reproduktionen einer unverpackten
und völlig anders arrangierten Version aus einer älteren Ausstellung
ausgelegt. Kunst, Variation, Reproduktion und Rezeption in einem Prozess.
Das Prozesshafte ihrer Arbeit wird ebenso deutlich an dem Trolley, der auf
den flüchtigen Blick an die Wagen der Putzkolonnen in den Großraumbüros
erinnert. Rodenbergs Trolley allerdings ist mit ihrem Arbeitsmaterial und
ihren Werkzeugen bestückt und als mobile Skulptur zu begreifen. Falls die
Position einen der Künstlerkollegen stören sollte, kann er ihn getrost an
einen andern Ort verschieben, so dass sich wieder neue Werkbezüge bzw.
Blickachsen ergeben.
An einer Wand im vorderen Raum werden Sie den englischen und
wunderbar poetischen Satz „You and me a secret alliance“ lesen. Er
stammt von dem jüdischen Mystiker Schlomo (ben Meschullam) de Piera,
der im 14./15. Jahrhundert in Spanien lebte. Kees Koomen hat dieses
spirituell-philosophische Zitat mit den typisch bunten Kunststoffbuchstaben
für Kinder an der Wand platziert. Altehrwürdige Weisheit und industrielle
Moderne treffen hier profan aufeinander. Dieser Satz korrespondiert in
gewisser Weise mit dem Titel der Ausstellung „Augentausch“. Diese
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Wortschöpfung stammt von dem berühmten Lyriker Paul Celan, der den
Neologismus in seinem Gedicht „Nacht“ benutzte, das sich in seinem 1959
veröffentlichten Lyrikband „Sprachgitter“ befindet. Paul Celan gehört zu den
Heros oder Helden von Kees Koomen, weshalb Sie hier sein gemaltes
Portrait des großen Lyrikers finden. Ohne mich hier an einem
Interpretationsversuch der Celanschen Begriffe zu verheben, so ist doch
sicher, dass bei Celan immer auch ein lyrisches Ich auf ein poetisches Du
(wer immer damit gemeint ist) trifft. Ein Augentausch könnte ein
Perspektivwechsel meinen, ein Austausch von Standpunkten, der aber den
Willen zur Aus-ein-ander-setzung bedingt. Damit gehen aber beide, das
„Ich“ und das „Du“ einen Bund der Kommunikation ein, oder um es mit den
Worten Schlomo (ben Meschullam) de Piera zu sagen, sie gehen eine
„geheime Allianz“ ein. Diese Bereitschaft zur Allianz ist auch bei den
Besuchern dieses kollektiven Environments aus individuellen
künstlerischen Positionen gefordert.
Denn, Kunst zu betrachten, ist eine Tätigkeit, die mit Reflexion zu tun hat
und im Kopf des Betrachters stattfindet. Für Marcel Duchamp ist die
Wahrnehmung der Kunst durch den Betrachter ein existenzieller Vorgang
und eigentlich das Wesenhafte von Kunst. Koomen hängte eines seiner
Bilder an einen noch Blätter tragenden Ast. Der Ast wird seine Blätter im
Laufe der Ausstellung verlieren. Der Ast könnte hier als metaphorischer
Verweis auf ein Rhizom dienen, denn Kunst speist sich wurzelhaft aus
vielen Quellen und Einflüssen. Eine Quelle ist bestimmt die
autobiografische, weshalb es keineswegs verwunderlich ist, wenn alte
Tagebuchaufzeichnungen von Kees Koomen hier an anderer Stelle an
einem Ast baumeln und Bilder als Roadmaps von Koomens Reisen gezeigt
werden. Auch ein Spiegel wurde an einem Ast hängend und im Raum
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schwebend positioniert. Darin spiegeln sich sowohl ein Teil des Raumes
sowie der jeweilige Betrachter. Aus dem Prozess der Reflektion wird –
unter der Maßgabe, dass die von Schlomo (ben Meschullam) de Piera
angerufene geheime Allianz funktioniert – der Vorgang der Reflexion. In
diesem Sinne wünsche ich Ihnen interessante Gespräche und bedanke
mich für Ihre Aufmerksamkeit